|
|
|
ON THE AIR : 21 JUN 2004 - 21 JUN 2005
|
|
|
HELSINKI PROJEKT
Autor & Reporter: Ernst Marianne Binder
Sendungs-Jingle: Josef Klammer
Technischer Support: Geari Schreilechner
Sendungs-Abwicklung: Radio Helsinki
Produktion: Andrea Speetgens
Webmaster 2004/2005: Albert "Olli" Pall
Webmaster 2010: Ernst Christian Binder
21. Juni 2004 – 21. Juni 2005, 12:00 – 12:05
366 Sendungen LIVE, Radio Helsinki worldwide
http://helsinki.mur.at/live-stream.php
Co-Produktion: dramagraz / Radio Helsinki / ESC im Labor
ON THE AIR
Radiophone Stationen einer Reise durch den Alltag
|
Beim Recherchieren mehrerer Tagesabläufe anlässlich der Reiserekonstruktion
für meine Steuererklärung für 2003 fiel mir auf, dass insbesondere die
Mittagszeit eines Tages sich hervorhebt, weil sie sich nahezu täglich als neue
Erscheinungsform eines gelebten oder noch zu erlebenden Tages darstellt.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass man diese Zeit
praktisch immer im Wachzustand erlebt. Ob man sich nach einer durchzechten
Nacht gerade aus dem Bett quält, oder bei Proben die Schauspieler quengelig
werden, oder man sich sonntags auf der Toilette die steirische Breite nicht nur
in Form von Würsten erscheißt, sondern sie sich auch durch das Lesen des
Sonntags-Abonnements hart erarbeiten muss: Die Zeit zwischen 11:30 bis
12:30 ist die Zeit, in der man auf den vergangenen Tag zurückblickt und den
neuen Tagesablauf plant, bzw. beschließt, ihn auf sich zukommen zu lassen.
Die Gedanken um diese Zeit sind frei und nicht zu bändigen. Die
Themenpalette übertrifft das Sortiment des *Kaufhauses des Westens* in
Berlin bei weitem.
Was also läge näher, dachte ich mir, als einer geneigten Radio-Öffentlichkeit
von diesen philosophisch-anarchistisch-religiösen Gedankenausbrüchen zu
berichten, jeweils von dem Ort (über ein Mobil-Telefon), an dem sich der
gequälte Geist in seinem verfallenden Körper gerade befindet: Die
Unterschiedlichkeit der Aufenthaltsorte bedingt im schlimmsten Fall dann auch
eine eventuell hereinbrechende Gedankenfinsternis des Sendungsgestalters.
Ein Stau im Tauerntunnel (Verkehrsbericht), ein Termin bei Frau
Landeshauptmann Klasnic (Kultur), das Warten auf eine Straßenbahn im
Regen (Wetter), der Besuch des Vatergrabes (Privat) oder ein
Blaskapellenaufmarsch (Politik) umfasst nicht nur alle Bereiche der Hörfunk-
Berichterstattung, sondern rechtfertigt schon allein durch die intime
Individualität und / oder die allgemein nachvollziehbare
Situationskomik(tragik), einer breiteren Öffentlichkeit akustisch zugänglich
gemacht zu werden.
Beginn der Sendereihe war der 21. Juni 2004 (Sommersonnenwende). Ein
Jahr lang berichteten die Sendungen täglich vom Zustand der Welt und der
jeweiligen Wahrnehmungsfähigkeit des Autors und Reporters Ernst Marianne
Binder (meiner Wenigkeit!) LIVE in der Zeit von 12:00 – 12:05.
Begleitet wurde der Reporter von Pivot, jener Figur, die er schon seit seiner
Geburt in und mit sich herumträgt und der er in diesem Jahr Leben einhauchen
würde, um ihn am Ende des Jahres in Tschernobyl - wie einst Laios und
Iokaste Oidipus auf dem Kithairon – auszusetzen.
Auch davon, dass oft alles anders kommt, als man denkt, erzählt diese
Sendereihe. Am 21. Juni 2005 und 365 Tage nach der ersten Sendung war
es dann auch genug! Mehr möchte ich aber an dieser Stelle nicht verraten.
Die jeweiligen Anrufe des Sendungsmachers wurden aufgezeichnet und werden
hier dokumentiert. Jeden Tag fotografierte sich der Autor selbst, den Himmel
und etwas, dass ihm vor die Kamera lief oder ihm wert war, festgehalten und
der Welt übermittelt zu werden,- ein assoziativen Foto-Kommentar zum
Thema jeweils am Ort der LIVE-Berichterstattung. Auch diese Fotos werden -
soweit vorhanden - zu den Audioaufnahmen hinzugefügt.
Viel ist schon im Lauf der Aufzeichnungen verloren gegangen, viel in den
Jahren danach. Der Laptop des Autors wurde gestohlen, Sendungsauf-
zeichnungen versehentlich gelöscht. Egal. Auch wenn eine komplette
Rekonstruktion nicht möglich ist, so spiegelt dieses Archiv doch
nicht nur ein Jahr im Leben des Radioautors wider, sondern auch viele
zeitgeschichtliche Ereignisse, die uns und die Welt in diesem Jahr geprägt
oder berührt haben.
Ein spezielles Problem, dem Sie als Hörer immer wieder begegnen werden,
war "Radio Mesopotamia": Immer am Sonntag wurde das Sendungsfenster von
11:00 bis 13:00 kurdischen Migranten zur Verfügung gestellt. Wohl auch, weil
dieser an sich prominente Sendetermin den Grazer Sendungsmachern nicht
ins private Konzept passte. Um diese Zeit wartete nämlich das Wienerschnitzerl
und Kaffee und Kuchen bei Muttern. Diese an sich sehr netten, dunkelhäutigen,
bärtigen kurdischen Mitbürger raubten mir allerdings als Sendungsabwickler
immer wieder die letzten Nerven. So kam es öfter vor, dass das Telefon
besetzt war, weil gerade einer von Ihnen die Gelegenheit nützte, mit seiner
Familie oder Freunden in der Heimat zu telefonieren. Oder sie drehten die
Musik im Studio so laut auf, dass sie das Klingeln des Telefons nicht hörten.
Fast immer ließen sie das Studio-Mikro offen und man hörte sie im Hintergrund
quatschen und lachen. Das war hart für mich, da ich mich Sonntags fast immer
der Melancholie ergab und aufpassen musste, nicht zu leise zu sprechen, um
überhaupt hörbar zu sein. Gerne drehten sie auch ihre Musik nicht ab oder
vergaßen, dass ich auf Sendung war und stiegen irgendwann aus,- oft während
eines Satzes von mir. Dass meine Beiträge dennoch immer wieder auf
Sendung gingen - manchmal sogar weitgehend störungsfrei - grenzte für mich
immer wieder an ein Wunder, das mich dann für den Rest des Sonntags den
Tag genießen ließ, auch wenn er nicht verheißungsvoll begonnen hatte.
Dank an:
Cornelia Spari (für das Foto ON THE AIR und für sonst auch vieles) / Claudia
Christof, Gudrun, Mihat, Mike, Miriam, Moke, Reni, Stefan, Waltraud und allen
Mitarbeitern von "Radio Mesopotamia" für die Sendungs-Abwicklung bei Radio
Helsinki / Barbara für die Hilfe im Wohnwagen / Diana Brus und Werner
Schrempf, die das Projekt GIPSYS LULLABY ermöglichten / Maria Rainer für
Freundlichkeit und Organisation / Gerhard "Hardy" Melzer für seine
Gastfreundschaft / Alexandra Rollett für die dramaturgische Begleitung / Günter
Koberg für seine beiden Ziegen und seine wohltuende, nie aufdringliche
Herzlichkeit...
... den vielen Besuchern in meinem "Rolling Home" im Innenhof des
Joanneum: Franz "Quirchtl" Quirchtmayr für seine inzwischen jahrelange
Freundschaft und Treue / Herwig von Kreutzbruck für unseren letzten
gemeinsamen Rausch / Heimo Steps / Herbert Nichols / Barbara Bißmeier /
Sandra und meine liebenswürdige Ziege Findine für ihr morgendliches Stupsen
und Meckern...
... meiner Mutter, die in diesem Sommer 80 wurde / Townes van Zandt für
seine Lieder, insbesondere für: "we'd like the world to lie upon and the sky to
talk about" / Rudi Widerhofer für Stimme und Gesicht und überhaupt (ohne
ihn gäbe es Pivot nicht) / Margarita / Eva / meinem damaligen zuständigen
Beamten im Bundeskanzleramt und nunmehrigem Freund Dr. Alfred Koll /
Dr. Andrea Ruis / Gert Jonke für unsere letzte Begegnung am Westbahnhof /
Dieter Sperl / Paul und Liane Pechmann / dem Personal im Wiener Hotel
"Fürstenhof" - insbesondere der Familie Formanek, Ronald Müller, Herrn
Clemens Meyer, Cristian Schafferer und Anna Nagy - die mich und meine
Eskapaden ohne Murren ertragen haben / Andreas Platzer für seine
Anwesenheit als guter Geist und angenehmer Zeitgenosse in meiner
Wohnung / Otto Hochreiter / Thomas Gratzer und Roman Freigaßner vom
Rabenhof Theater / Nora / Ute für ihre Liebe und Wärme / Natasa Mirkovic
für ihr großes bosnisches Herz / Matthias Loibner für sein Verwachsensein
mit seinem Instrument / Lynn...
... und last but not least den vielen HörerInnen von Radio Helsinki und
den BesucherInnen der Homepage (an manchen Tagen waren es bis
zu 10.000)...
Ich hoffe, niemanden vergessen zu haben
|